Freud und Leid im Kleingarten – Unsere Story Teil 1

Wir überlegen schon lange, ob wir etwas über unsere Erfahrungen im Kleingarten schreiben sollen. Da wir uns mit den schmerzhaften Erinnerungen aber nicht auseinandersetzen wollten, haben wir dies immer wieder verworfen. Mittlerweile sind wir allerdings zu der Einsicht gelangt, dass unsere Erfahrungen Gleichgesinnten helfen könnten: Sie könnten Mut machen, wenn Widerstände auftreten, oder vor Naivität und falschen Entscheidungen schützen. Kleingärten sind Orte der ungeschriebenen Regeln und offenen Geheimnisse.

Teil 1: Unser erster Kleingarten – getrübtes Glück

Haiko und ich sind früher oft durch Kleingartensiedlungen spazieren gegangen und haben uns auf Bänke mit schöner Aussicht gesetzt. Zu gewissen Tageszeiten sind Kleingartensiedlungen wenig besucht. Dann findet man dort eine sehr friedliche Stimmung. Mich haben die kleinen Häuschen immer an das Auenland vom Herrn der Ringe erinnert: Ich hatte die Assoziation, dass die liebevolle Pflege des Lebendigen letztlich den Weg bereitet, um die großen Naturzerstörungen zu überwinden.

Dann kam ich in die anstrengende Schlussphase meines Studiums der ‚Umweltwissenschaften‘, ohne große Aussichten auf eine nachfolgende Beschäftigung. Diesem Gefühl der Unsicherheit und des Ausgeliefertseins wollte ich etwas entgegensetzten: Ich wollte etwas Handfestes für die Natur und die Umwelt tun und jenseits von Studien und Büchern Erfahrungen sammeln.

Viele Kleingärten in unserer Nähe waren zu dieser Zeit abzugeben. Der erste Garten, den wir besichtigt haben war wunderschön, aber der Besitzer wollte dafür wesentlich mehr Geld haben, als das Gutachten vorsah. Das ist zum einen nicht erlaubt und zum anderen hätte uns dies in Bedrängnis gebracht, wenn wir den Garten selbst wieder verkaufen müssten.

— Das Gutachten: In den meisten Kleingärten muss vor der Übergabe eines Gartens ein Gutachten durch einen Gutachter, der vom Kreisverband festgelegt wird, erstellt werden. In diesem Gutachten wird nach bestimmten Vorgaben der Wert aller Gegenstände und Pflanzen auf dem Grundstück ermittelt. Das Grundstück selbst ist dem Kleingartenverein überlassen und der Verein wiederum erhält dieses von der Stadt oder einem anderem Grundbesitzer. Die Wertermittlung soll die Übergabe erleichtern und verhindern, dass sich die Preise für einen Garten durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage in astronomische Höhen bewegen.  Die Wertermittlung ergibt allerdings nur einen Bruchteil des jeweiligen Neupreises. Bei sehr wenigen Interessenten erfolgt die Übergabe zusätzlich oft weit unter der Wertermittlung.—

Dann wurde ein Garten mit wunderschöner Aussicht und einem Steinhaus frei. Strom und Wasser waren auch dabei. Die Vereinsregeln empfanden wir zwar als etwas abschreckend, aber erfüllbar. Beispielsweise sollte alles aus Stein immer weiß gestrichen sein und alles aus Holz immer dunkelbraun. Dass der Einsatz von Pestiziden (Pflanzen-, Tier- und Pilzvernichtungsmitteln) verboten war, fanden wir dagegen sehr gut.

Unser erster Kleingarten

Da wir den Garten im Winter übernommen hatten, konnten wir den Zustand der Pflanzen nicht beurteilen. Die Laube war ungepflegt und zugestellt, da der Vorbesitzer seinen Garten quasi bis zur letzten Sekunde vor dem Alterspflegeheim behalten hatte. Ein Übernahmegespräch gabe es somit leider auch nicht. Im Nachhinein betrachtet, ein denkbar ungünstiger Start.

Es war ein großes Abenteuer, den Garten ohne Anleitungen oder Erklärungen zu erkunden. Bei den Pflanzen wollte ich einfach abwarten und diese im Frühling dann Stück für Stück identifizieren. Nur den Rückschnitt habe ich sofort durchgeführt, damit der Garten wieder ordentlich aussah. Dass ordentliche Gärten das oberste Gebot dieser Kleingartensiedlung war, war relativ leicht ersichtlich.

Blauer Eisenhut
Blauer Eisenhut

Glücklicherweise bekamen wir unseren ersten Garten lange vor der Geburt unserer Tochter, denn unser Vorbesitzer hatte eine Vorliebe für Giftpflanzen. Beispielsweise befand sich am Eingang eine prächtige Staude ‚Blauer Eisenhut‘ – die giftigste Pflanze Europas, die schon bei Berührungen Beschwerden hervorrufen kann. Beängstigend war außerdem die große Chemikaliensammlung unseres Vorbesitzers. Gefühlt war dort gegen jeden ‚Schädling‘ ein Mittel zu finden. Teilweise standen die Flüssigkeiten unbeschriftet und kaum verschlossen in der Laube und im Schuppen herum. Viel zu spät wurden wir von unseren Gartennachbarn gewarnt, dass dort auch „einiges sehr Giftiges“ darunter sei. Mit einer großen Autotour haben wir dann alles zur Chemikalienannahme der Entsorgungswerke gebracht. Dort wurde es mit großen Augen, aber kommentarlos, entgegengenommen.

Auf der anderen Seite hatte unser Vorbesitzer diverse Vogelnistkästen und Wildbienenhotels selbst hergestellt und überall im Garten verteilt. In der Laube standen der Gartenratgeber vom NABU und der Werbeprospekt für Schädlingsbekämpfungsmittel vom ortansässigen Chemikalienhersteller direkt nebeneinander. Früher, so wurde uns erzählt, wusste man genau, wenn das Chemikalienwerk die Hallen gelüftet hatte. Denn dann lag über allen Gärten eine weiße Staubschicht.

Natürlich sind wir von Anfang an brav zu den Vereinsfesten gegangen. Die Kleingartensiedlung bestand aus ca. 300 Parzellen und entsprechend groß war auch das Vereinsheim. Als Nicht-Raucher waren die Feste für uns eine gesundheitliche Herausforderung, da es damals noch kein Rauchverbot in Innenräumen gab. Außerdem waren wir mit einem Alter von Mitte 20 mit einem Abstand von mindestens 20 Jahren die Jüngsten. Dass wir zusätzlich auch noch Vegetarier waren, haben wir dann lieber nicht an die große Glocke gehängt.

Wir wurden freundlich empfangen und bekamen viele gute Gartentipps. Wir erfuhren, dass sich das Vereinsheim größtenteils durch das Biertrinken und die Feste finanzieren würde. Es herrschte eine große Zukunftsangst, da die Feste bei weitem nicht mehr so gut besucht waren wie früher. Die Gäste starben buchstäblich aus. Würde das Vereinsheim durch eine Umlage auf die Mitgliedsbeiträge finanziert werden, wären viele zu diesen Zahlungen nicht bereit oder könnten diese nicht stemmen. Zusätzlich würde es immer weniger Mitglieder geben, die ihre Pflichstunden leisten würden, was weitere Kosten für den Verein, beispielsweise durch Beauftragung eines Gärtners, mit sich bringen würde.

— Pflichtstunden: In den meisten Kleingartenvereinen gibt es Pflichtstunden. Dies sind die Stunden im Jahr, die man Gemeinschaftsarbeit leisten muss, beispielweise an den Wegen und Grünstreifen. Es wird für die Pflichtstunden eine Zeit und ein Treffpunkt per Aushang bekanntgegeben. Die Anzahl der Pflichtstunden varriiert von Verein zu Verein erheblich. Werden die Pflichstunden nicht erfüllt, muss ein fester Betrag je Stunde gezahlt werden.—

Im Verein herrschte eine große Unzufriedenheit, da das Gemeinschaftsgefühl nicht mehr so wie früher sei. In der guten alten Zeit gab es beispielsweise in jedem Garten eine Glocke. Wurde diese geläutet, kamen die Gartennachbarn zusammen und derjenige, der geläutet hatte, gab jedem Nachbarn ein Pinnchen Schnaps aus. Unser Vorbesitzer hielt an dieser Tradition bis zum Ende eisern fest. Der Sohn unserer Gartennachbarn, der den Großteil der Renovierung an der Laube übernahm, beschrieb dies folgendermaßen: „Der alte Herr war ja wirklich sehr nett – aber dieses ewige Geläute. Immer wenn ich gerade so richtig was an der Laube schaffen wollte, musste ich wieder so ein Pinnchen trinken.“

Bevor ich über die absehbaren Probleme und deren Eskalation schreibe, möchte ich noch über einige schöne Erlebnisse berichten. Wir hatten beispielweise einen liebenswerten Gartennachbarn, der jeden Tag durch die Siedlung ging und an jedem Garten stehenblieb, um einen netten Kommentar zu äußern – entweder zu dem jeweiligen Gartenbesitzer oder zu seiner Frau. Ein kleines Gespräch über dieses oder jenes Gewächs war dann immer dabei. Seine Frau zupfte währendessen mehr oder weniger energisch an seinem Ärmel, um ihn zum Weitergehen zu bewegen.

Gleich zu Anfang bekamen wir eine Unmenge an Samen geschenkt. Im zweiten Jahr fand ich mehrere Tomatenpflanzen mit Zubehör in unserem Garten vor dem Gartentor. Ich habe nie herausgefunden, wer uns diese Geschenke gemacht hat, aber die Geste hat mich sehr berührt.

Die Blumen in unserem Garten
Die Blumen in unserem Garten

In unserem Garten wuchsen viele wunderschöne Blumen. Etwas kohlartiges, was ich zunächst ausrupfte, entpuppte sich als prächtige Mohnpflanzen und auch Klatschmohn gab es in Fülle. Im beginnenden Frühjahr begrüßte uns der intensive Duft von Goldlack am Gartentor. Später im Jahr färbten sich dann die Beete blau von Vergissmeinnicht. Der vorherige Gartenbesitzer hatte außerdem eine beachtliche Sammlung an Pflanzen. Vor der Laube wuchs Edelweiß und Enzian und sein ganzer Stolz war, den Erzählungen nach, eine kleine Wiese aus Alpenveilchen. So gut es ging versuchten wir die Pflanzen zu erhalten.

Rittersporn und Mohnblumen
Rittersporn und Mohnblumen
Gemüsebeete mit Schneckenzäunen
Gemüsebeete mit Schneckenzäunen

Da es in dem Garten keine Gemüsebeete gab, mussten wir diese selbst anlegen. Die Schneckenzäune erregten bei den anderen Gärtnern nur Unverständnis, schließlich gibt es doch Schneckenkorn! Das war uns egal, denn auch jetzt, nach so vielen Gartenjahren, würden wir in jedem neuen Garten zuerst einen Schneckenzaun anlegen – es gibt nichts sinnvolleres zu tun! Und dann: Das erste Gemüse aus dem eigenen Garten essen – unbeschreiblich schön, was für eine Fülle an Aromen. So vieles läuft falsch bei der Art wie wir unser Leben erhalten – wie wir essen. Der erste Bissen in das selbstgezogene Gemüse ist wie der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung und Versöhnung mit der Natur.

Masterarbeit im Kleingarten
Masterarbeit im Kleingarten

Den Abschluss meiner Masterarbeit habe ich im Garten geschrieben, Zukunftsängste gab es da nicht. Außerdem habe ich mit Haiko einige Sommernächte im Garten verbracht, beispielsweise um die Plejaden am Nachthimmel zu beobachten.

Im Nachhinein muss ich sagen, dass es erstaunlich wenig Tiere in dieser Gartensiedlung gab. An Insekten gab es vor allem (Wild-)Bienen, Vogelarten gab es maximal eine Handvoll und bei den Säugetieren hörte es mit Mäusen auch schon auf. Was für ein Unterschied zu unserem jetzigen Garten!

Später kam unser Gartenvorbesitzer auf Kaffee und Kuchen zu unseren Gartennachbarn und wir wurden auch eingeladen. Auf die Frage, ob er zufrieden mit unserer Gartenführung sei, antwortete er: „Da kann man nichts gegen sagen. Nur so dicht beieinander hätte ich die Pflanzen nicht gesetzt.“ Wir haben ihm dann erlaubt, jederzeit in seinen früheren Garten zu gehen und auch Zeit dort zu verbringen. Aber ich denke nicht, dass er das je getan hat, der Schmerz über den Verlust war zu groß.

Vergissmeinnicht im Frühling
Vergissmeinnicht im Frühling

Misstöne traten bald auf, als uns die Nachbarn rechts von uns baten, die Gründüngung zu entfernen, da dies Unkaut sei. Ich habe ihnen den Sinn von Gründüngung erklärt, aber diese trotzdem auf dem Stück zu ihrem Garten hin entfernt. Als nächstes waren die Vergissmeinnicht dran, da auch diese ihre Samen in Nachbars Garten verteilen könnten. Ein wenig Verständnis hatte ich dafür auch: Das waren alte Leute, die sich zum Jäten nicht mehr so viel Bücken wollten oder konnten. Nur in der Mitte meines Gartens habe ich die unliebsamen Pflänzchen stehengelassen.

Weiterhin unangenehm war, dass ein Herr vom Vorstand teilweise ohne sich bemerkbar zu machen in unsere Laube hineinplatzte. Danach konnte ich mich nie wieder mit gutem Gefühl in der Laube umziehen. Ich weiß bis heute nicht, ob ich dies als mangelndes Benehmen oder als unangekündigte Kontrolle einschätzen soll.

Auf einem Vereinsfest erfuhren wir auch, dass die meisten Gärten über eine Wassertoilette verfügen, obwohl diese verboten sei. Wenn der Gutachter komme, würde sie einfach zugedeckt werden und der Gutachter sieht darüber hinweg. Das Abwasser versickerte dann einfach im Boden, wohin genau wusste auch niemand. Die Gärten lagen zusätzlich alle an einem Hang. Diese Vorstellung in Verbindung mit den üblichen chemischen Toilettenreinigern verdarb uns den Appetit auf unser angebautes Gartengemüse. Zusätzlich kamen wir an einem Frühsommertag in unseren Garten und auf ca. zwei Quadratmetern waren die Blätter unserer Beerenobststräucher braun geworden und fielen ab. Wir konnten keine Ursache dafür finden und später wuchsen die Blätter auch wieder nach. Es war beunruhigend, nicht zu wissen, was in der Erde unter unserem Garten los war. Wir waren uns einig darüber, die Beeren in diesem Jahr den Vögeln zu überlassen.

Später im Jahr kamen noch zwei andere junge Familien dazu. In der Vereinszeitung lasen wir dann, dass ‚die Neuen‘ sich nicht an den Veranstaltungen beteiligen würden. Das fanden wir ungerecht, da wir zusätzlich zu den Pflichtstunden auch beim Festaufbau mitgeholfen hatten. Aber vielleicht reichte das nicht aus. Schließlich gab es wöchentlich Veranstaltungen und Treffen.

Am Ende des Gartenjahres dachten wir noch, dass es ewig so weitergehen könnte. Ich hatte nach meinem Studium direkt eine aufregende Arbeitsstelle am Landtag gefunden und die Gartenarbeit war als Ausgleich genau das Richtige. Es war zwar definitiv nicht das Naturerlebnis, dass wir uns gewünscht hatten, aber wir waren jung und hatten noch viel Zeit einiges zum Guten zu bewegen. Zusätzlich war ich schwanger und freute mich auf die Zeit mit meinem Baby im Garten. Wir konnten nicht ahnen, dass das nächste Gartenjahr ein Desaster werden würde.

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Buchempfehlungen:

Unser Lieblingsbuch: „Der Biogarten: Das Original“

Sehr schön sind auch:
„Das große Ulmer Biogarten-Buch
„Das große Biogarten-Buch“

Oder für Einsteiger:

„Der Biogarten für Einsteiger: Basiswissen und Praxis
„Biogärten im Handumdrehen – 50 einfache Projekte für naturnahe Gärten

Wer sich ein etwas „wilderes“ Gartenaussehen erlauben kann (ohne übermäßigen Stress mit Nachbarn und Gartenvorstand ;-)), kann es auch mit Permakultur versuchen:

„Prinzip Permakultur: Wie Einsteiger und Selbstversorger im Einklang mit der Natur erfolgreich gärtnern (GU Garten Extra)
„Permakultur für alle. Harmonisch leben und einfach gärtnern im Einklang mit der Natur
„Mein Selbstversorger-Garten am Stadtrand: Permakultur auf kleiner Fläche
Sepp Holzers Permakultur: Praktische Anwendung für Garten, Obst- und Landwirtschaft“

Für mehr Spaß im Garten sehr zu empfehlen:

„Gelassen gärtnern: 99 Gartenmythen und was von ihnen zu halten ist“

Viel Spaß beim Lesen!