Autofrei gärtnern und leben

Obwohl Haiko und ich seit ca. 15 Jahren über zwei Führerscheine in der Familie verfügen, haben wir nie ein eigenes Auto besessen. Als wir in dem Alter waren, in dem man sich normalerweise das erste Auto kauft, hatten wir gerade eine Klimaschutzgruppe gegründet. Mit gutem Gefühl hätten wir uns damals kein Auto kaufen können. Mittlerweile leihen wir uns ca. 3-4 mal im Jahr ein Auto via Carsharing und das genügt uns.

Früher haben wir oft gehört, dass man spätestens, wenn man ein Kind hat, aber schon ein Auto benötigt. Unsere Tochter ist mittlerweile fast sechs Jahre alt und es geht weiterhin gut ohne Auto. Auch unser Kleingarten blüht und gedeiht ohne Auto (und ohne Strom- und Wasserleitung :-)). Was man alles nicht braucht, wenn man sich nur fest genug dafür entscheidet, es nicht zu brauchen!

Die wichtigste Entscheidung für ein autofreies Leben

Rückblickend denke ich, dass die Wahl des Wohnortes die wichtigste Entscheidung für ein autofreies Leben ist. Es sollte eine gute Anbindung zum Zug geben, damit man schnell in die angrenzenden Städte gelangt. Für die kleineren Besorgungen sollte es eine Bushaltestelle in der Nähe geben. Dann ist es wichtig, dass man seine Lebensmittel in kurzer Entfernung zu Fuß (oder Fahrrad) kaufen kann. Desweiteren sollte es etwas Grün in der Nähe geben. Für den gemütlichen Abendspaziergang oder z.B. für das Joggen. Wenn dann noch Kinder dazukommen, sollten Kindergärten, Schulen und Spielplätze in der Nähe vorhanden sein. Wir leben in einer Art ‚Vorort‘ der Großstadt, wo alle diese Bedingungen erfüllt sind.

Die ‚White-List‘, wenn es ohne nicht geht

Angenommen, am eigenen Wohnort sind nicht alle Bedingungen erfüllt und man gelangt ohne Auto z.B. einfach nicht zur Arbeit. Dann würde ich empfehlen, eine Art ‚White-List‘ anzulegen. Man schreibt sich auf, für welche Strecken das Auto benutzt werden soll und für alle anderen Strecken lässt man es konsequent stehen. Dann wird es sicher so sein, wie bei uns, dass man das Auto ein paar mal im Jahr auch außerhalb seiner ‚White-List‘ einfach benötigt oder man will unbedingt diesen Urlaub oder diesen Ausflug machen. Dann ist das ok! Das sollte allerdings nicht zu oft passieren, weil man sich sonst der alltäglichen „Wunder“ des autofreien Lebens, siehe unten, beraubt.

Gärtnern ohne Auto

Die erste Herausforderung war es demnach für uns, einen Kleingarten zu finden, den wir zu Fuß (oder durch eine kurze Fahrradstrecke) erreichen konnten. Dass wir einen Biokleingarten nicht einfach in der nächstgelegenen Kleingartensiedlung anlegen konnten, hatten wir ja bereits schmerzlich erfahren müssen (siehe Unser erster Garten). Glücklicherweise wussten wir nach unserer ersten schlechten Erfahrung, auf was wir bei der Gartensuche achten mussten (siehe Den richtigen Kleingarten finden).

Gerade wenn man Gemüse anbaut, sollte der Garten gut erreichbar sein. Auch wenn man sein Gemüse durch richtiges Gießen (wenig und gründlich) an Trockenheit gewöhnt, so muss man doch an sehr heißen Tagen täglich zum Gießen in den Garten. Zusätzlich noch auf den Bus zu warten, stelle ich mir da sehr zeitraubend und umständlich vor.

Anstatt Erde zu kaufen, die man ohne Auto kaum transportieren kann, benutzt man alles verfügbare Biomaterial zum Mulchen und Kompostieren. Wir benutzen unseren Biomüll, den gesamten Hecken- und Baumschnitt sowie teilweise die gemeinschaftlichen Gartenabfälle.

Müssen wir doch einmal etwas schweres transportieren, dann nehmen wir unseren Bollerwagen mit (siehe Artikel dazu). Im Notfall sind wir auch schon einmal auf Carsharing ausgewichen. Die Sandsäcke für den Sandkasten unserer Tochter waren selbst für den Bollerwagen zu schwer ;-).

Als wir den Garten neu hatten und jede Menge Pflanzen gesetzt haben, haben wir diese größtenteils online bestellt. Das entlastet die Umwelt, im Vergleich zur Fahrt in den Gartenmarkt, natürlich nicht. Es ließ sich aber auch nicht vermeiden, da wir ganz bestimmte Sorten haben wollten und wenn möglich diese auch noch in Bioqualität. Letztlich war das eine gute Strategie, da wir dadurch mittlerweile fast ausschließlich robuste, naturnahe Pflanzen in unserem Garten haben, die ohne Insektenschutz auskommen und auch gegenüber Krankheiten nicht anfällig sind.

Das Wunder des autofreien Lebens

Ich habe einmal gelesen, dass ein Großteil der Unzufriedenheit und des Gefühls der inneren Leere, die viele Menschen empfinden, auf Entfremdung, Entwurzelung und mangelnder Resonanz mit der Umgebung, seien es nun die Mitmenschen oder die Umwelt, zurückgeführt werden können. Das hat mir eingeleuchtet! Zusätzlich schaffen wir uns unsere „Blasen“ von Gleichgesinnten und leben immer stärker in unserer Illusion von der Welt.

Das autofreie Leben kann gegen alle diese Probleme helfen! Wir sind aus beruflichen Gründen vor ca. fünf Jahren in unseren Vorort umgezogen. Mittlerweile treffe ich fast täglich (Garten-)nachbarn, Eltern aus dem Kindergarten oder Menschen, die man einfach kennt, weil man immer den gleichen Bus nimmt usw. Dass ich so viele Menschen hier kenne, weil ich fast alles in der näheren Umgebung mache, gibt mir ein Gefühl von Vertrautheit. Sicherlich merke ich bei längeren Gesprächen auch, dass wir nicht immer die selben Ansichten pflegen. Aber ich bin stolz darauf, dass ich so viele Kontakte außerhalb meiner ‚Blase‘ habe.

Wir leben nicht in dem Zwang immer an den ‚besten‘ Ort zu wollen: Die beste Eisdiele, der schönste Wald, der abenteuerlichste Spielplatz etc. Als wir einmal ein Wochenende ein Auto leihweise hatten, habe ich gemerkt, dass wir uns fast automatisch von ‚Hot Spot‘ zu ‚Hot Spot‘ bewegt haben. Das war sicherlich eine nette Erfahrung, aber so möchte ich nicht leben. Auf die Dauer kommen mir die beliebtesten Ausflugsziele immer zu kulissenartig vor. Ich empfinde die abgelegenen Seitenstraßen meistens als authentischer, als ‚echter‘. Und genau diese Erfahrung des ‚Echten‘ liebe ich so sehr. Ein Kunstwerk muss ja auch nicht unbedingt ’schön‘ sein, um etwas in einem zu bewegen, also ein Gefühl der Resonanz zu erzeugen. Manchmal sind es so Entdeckungen, wie z.B. ein aufgegebener Garten am Stadtrand, die mich besonders faszinieren. Alles ist perfekt hergerichtet, die Laube gestrichen, die Spielgeräte erst wenige Jahre alt und trotzdem hat sich die Natur alles wiedererobert. Was ist die Geschichte dahinter?

Entdeckerreisen

Mittlerweile gehen wir als Familie gerne auf „Entdeckerreisen“. Wir nehmen dann ganz bewusst Wege und Straßen in unserer näheren Umgebung, die wir noch nie gegangen sind. Wer etwas interessantes sieht, sagt es den anderen. Obwohl wir hier schon ein paar Jahre wohnen, haben wir noch vor kurzem ein geschlossenes Kreiskrankenhaus in der Gegend entdeckt. Eine prächtige, verfallene Villa, durch deren Fenster man eine einst kunstvolle Inneneinrichtung aus dunklem Holz bestaunen konnte. Das alles macht so neugierig auf die Geschichte und die Geschichtchen des eigenen Wohnortes.

Gerade im Wald finde ich es wunderbar, auch mal außerhalb der Wege zu gehen. Ich weiß, dass dies eine große Katastrophe für die Natur wäre, wenn das ‚alle immer‘ machen würden. Deshalb meine ich hier, dass man es ganz bewusst und ausnahmsweise mal macht, um ein stärkeres Gefühl für die Natur zu bekommen.  Bei unserer letzten Abenteuer-Tour im Wald in der Nähe sind wir den Spuren der Rehe gefolgt. Für unsere sechsjährige Tochter war das eine richtige Detektivgeschichte :-). Aber auch der abenteuerliche Aufstieg an einem (relativ) steilen Waldhang hat sie schwer begeistert. Wenn irgendwo Müll herumliegt, kann man auch darüber gut mit seinen Kindern reden und ihn am besten auch gleich entsorgen.

Fazit

Ich glaube nicht, das man ein glücklicheres Leben führt, wenn man sich immer die besten Orten oder die passendsten Menschen aussucht. Für diese Lebenseinstellung bräuchte man dann bequemerweise ein Auto. Meiner Erfahrung nach finde ich aber mein Glück immer da wo ich gerade bin, wenn ich mich voll darauf einlassen kann und meine Vorurteile überwinde. Das ist sicher nichts, was mir immer gelingt! Die Entscheidung für ein Leben ohne Auto hat mir sehr geholfen, mein ‚echtes‘ Glück immer öfter zu finden (und der Umwelt und dem Klima etc. sowieso ;-)).